Eine Theaterproduktion von Martina Couturier


Eine Geschichte für Menschen ab fünf nach dem Buch von Wolf Erlbruch.
TEAM
Regie: Jörg Lehmann
Musik: Marie Elsa Drelon
Puppen: Sabine Köhler
Kostüm: Gabi Keuneke
Lichtdesign: Klaus Dust / Josia Werth
Produktionsfotos: Markus Lieberenz
Spiel: Martina Couturier und Heiki Ikkola
Produktion: Theater Couturier
Vielen Dank an das Weite Theater Berlin, die Hochschule für Schauspielkunst “Ernst Busch” Berlin, an Wolf Erlbruch, Oleg Zhukowski, Markus Joss und Jürgen Becker.

PRESSERESONANZ
“Mit Gevatter ist gut gründeln. … Die Ente ist so groß, wie der Arm von Puppenspieler Heiki Ikkolalang ist, sie ist ein schlankes Tier mit langem Hals und entschlossenem Schnabel. Mit seiner Mimik unterstreicht Ikkola die ausgelassenen Bewegungen der Entenpuppe, die er in die Plastikschüssel, also den Teich, taucht. Ein roter Faden, der quer über die Bühne gespannt ist, stellt die Wasseroberfläche dar, unter der die Ente ausgiebig gründelt. Nichts ist anfangs zu spüren von dem traurigen Thema, um das es in dem Kinderbuch “Ente, Tod und Tulpe” von Wolf Erlbruch geht. Martina Couturier und Heiki Ikkola nähern sich seiner Umsetzung behutsam dem Thema Sterben und macht es im Stück für Kinder ab fünf Jahren verständlich. Bis der lauernde Tod wirklich auftritt, sehen sie der Ente beim Skelett, vor dem sich ein kleiner Junge vor der Aufführung noch fürchtete. – Die Ente kostet ihr Leben aus und zeigt dem Tod, wie das geht. Er muss mit ihr gründeln, und als er danach vor Kälte zittert, reibt ihn die Ente trocken und kuschelt sich an ihn, um ihn zu wärmen. … Und als sie dem Tod Urlaubsbilder zeigt – Ente auf Eiffelturm, Ente am Meer – ist auf jedem Foto auch der kleine karierte Kittel zu sehen. Der Tod war immer da. Musikalisch zart untermalt werden die vielen schönen Szenen dieses Stückes von Marie Elsa Drelon. – Am Ende wärmt der Tod die Ente, wiegt sie in seinen Armen. “Jetzt ist die Ente gestorben”, sagt ein kleines Mädchen. Es klingt nicht traurig, eher nach ’so ist das Leben’. Als letztes ist ein Diabild zu sehen: die Ente am Strand, den Schnabel im Wind. Das Leben nach dem Tod als ewiger Tag am Meer.” (Berliner Zeitung)
“Eine der schönsten Inszenierungen der Saison.” (Zitty)
“Tatsächlich genügen Schau- und Puppenspieler Heiki Ikkola wenige Minuten und Handgriffe, um die Stoffente auf seinem Arm plastisch werden zu lassen – nicht als irgendwie archetypisches Entenklischee, sondern beglückenderweise als echte Individualistin, die einen mit ihren tierischen Macken genauso in den Bann zieht wie mit ihrer infektiösen Leichtigkeit des Seins. … Zum anderen vermag die Produktion aufgrund ihres ästhetischen Zugriffs zu überzeugen. Ganz selbstverständlich auf ihre jungen Zuschauer vertrauend und ohne also überflüssige Erklärungen abzugeben, changieren die Akteure hier zwischen Schau- und Puppenspiel. … Diese ästhetische Entscheidung, statt Illusionstheater zu spielen jeden Handgriff und damit auch jede Emotion auf der Bühne als hergestellt zu zeigen, ermöglicht den Zuschauern zum einen die nötige die Distanz, um aus der Identifikation immer mal wieder zum angesichts des Theams tröstlich entlastenden Draufblick zu gelangen. Gleichzeitig wird, ganz spielerisch und angenehm beiläufig, die Genrevielfalt des Mediums mitsamt der Bühnentechnik offen gelegt. Schauspiel, Puppenspiel, Musik: Alles Theater, sagt diese Produktion. Und was für welches!” (Nachtkritik von Christine Wahl)
“Ganz einfach sind die Mittel, mit denen Martina Couturier und Heiki Ikkola schon Fünfjährigen die Endlichkeit allen Lebens vermitteln: Zwei Handpuppen, ein paar Seile, ein Halbdutzend Requisiten, mehr brauchen die beiden Darsteller nicht, um die behutsame Annäherung zwischen der lebenslustigen Ente und dem gar nicht so furchtbaren Tod zu schildern.” (Website des Goethe Instituts)
Laudatio von Dr.Kristin Wardetzky zur Preisverleihung IKARUS 2009:
„Wenn du stirbst, Omi, dann besorgen wir uns eine neue Oma.“ So die 5jährige Enkelin zu ihrer Großmutter. 2 Jahre später blättert sie in Wolf Erlbruchs ‚Ente, Tod und Tulpe’, die Großmutter ist noch nicht gestorben, sie sitzt neben ihr, und sie sinniert: „Weißt Du, Omi, die Menschen, die sind ja nicht weg, wenn sie gestorben sind. Die sieht man nur nicht mehr, und die hört man nicht mehr. Aber die sind noch da, wirklich! Man kann sie eben nur nicht mehr sehen!“
Was denken Kinder über den Tod? Sie füllen das Unfassbare mit ganz eigenen, oftmals kruden Imaginationen, nüchtern, gänzlich unsentimental („dann besorgen wir uns eine neue Oma“), in einer Weise ‚vernünftig’, der wir kaum gewachsen sind. Das Geheimnis, das unauflösbare Rätsel des Todes zieht Kinder magisch an. Mit ihren Fragen treffen sie ins Innerste unserer Ratlosigkeit. Nichts ist so ungewiss wie all das, was nach dem Sterben kommt. Wir haben Symbole, Allegorien, Geschichten parat. Seit altersher haben die Menschen Zuflucht dazu genommen, dem Gestaltlosen eine Gestalt zu geben. Berühmt geworden: Albrecht Dürers Kupferstich von 1513 ‚Ritter, Tod und Teufel’ (die Korrespondenz zum Titel des Erlbruchschen Bilderbuches – ein Zufall? Wohl kaum), oder der Tod mit dem Stundenglas, als Knochenmann, als Schnitter (im Kirchenlied), als Gevatter Tod in Märchen, im Slawischen Raum auch als Frau, als Tödin.
All dies: Versuche, das Unbegreifliche fassbar zu machen, der existentiellen Angst vor dem Nichts ins Gesicht sehen zu können. Trost zu gewinnen, Mut…
Und nun – ‚Ente, Tod und Tulpe’, ein Bilder-Buch und, von diesem inspiriert, eine Inszenierung für Kinder zum Thema Sterben. Die Inszenierung folgt den Erlbruchschen Imaginationen, und sie füllt diese mit eigenen Erfindungen. Sie vertraut der Vorlage vorbehaltlos und ist dennoch weit mehr als deren bloße Illustration. Sie hat ästhetisch-künstlerische Eigenständigkeit gewonnen.
Unter der Regie von Jörg Lehmann spielen Martine Couturier und Heiki Ikkola. Martina Couturier – studierte hat sie, bevor sie sich fürs Theater entschied, Biologie, Philosophie und Theologie – drei Geistesbeschäftigungen, die auf seltsame Weise in der Beschäftigung mit ‚Ente, Tod und Tulpe’ wieder ihre versteckten Kraftreserven mobilisiert zu haben scheinen, um das Feuer theatraler Kreativität zu entzünden. Ihre Professionalisierung fürs Theater dankt Martina Couturier unterschiedlichen Quellen – der Dimitri- Schule, dem Peter Brook-Schauspieler Joshi Oida, Keith Johnstone, Margrit Gysin – um nur einige wenige zu nennen. Sie stand als Schauspielerin auf der Bühne und führte selbst Regie, von München bis Neubrandenburg, in Berlin insbesondere im Fliegenden Theater und im Theater Thikwa.
Und Heiki Ikkola? Eine gänzlich andere, eine Ost-Biografie: Berufsausbildung zum Maschinenbauer mit Abitur im VEB Traktorenwerk Schönebeck; und 4 Jahre ordentliches Studium der Puppenspielkunst an der HFS ‚Ernst Busch’; dann freischaffend als Puppenspieler, Regisseur, Schauspieler, Autor tätig – von Rostock bis Erfurt, u.a. auch künstlerischer Leiter des Puppentheaters Dresden bis 2005.
Beide in ihren Arbeiten ungemein umtriebig, grenzüberschreitend tätig, suchend, experimentierend, mit der Begabung für den sorgfältigen Umgang mit dem Detail wie für den großen, philosophisch-ästhetischen Entwurf.
Und nun, beide gemeinsam, unterstützt durch Jörg Lehmann, ‚Ente, Tod und Tulpe’.
Als ich die Inszenierung zum ersten Mal beim Augenblickmal-Festival sah, sagte der neben mir sitzende Horst Hawemann nach dem Schlussapplaus leise und wie zu sich selbst: ‚Ja, so einfach kann das gehen’, und er zog einen imaginären Handschuh von seiner Rechten. Ja, Einfachheit – damit meinte er wohl nicht nur, wie Martina Couturier am Ende die Enten-Puppe vom Arm ihres Spielpartners streift. Ein wundersames, so gänzlich unaufwendiges Zeichen, das keiner Worte, keiner Erklärungen bedarf. Die große Stille am Ende.
Die Transformation des Buches ins Theater verlangt theatrale Lösungen. Der Raum – schwarz, mit 2, später 3 roten, dehnbaren Lebens-(?)Fäden gegliedert, die beiden hellen Spielwände rechts und links, die Papierbahn als Baum und Reflexionsfläche für die Dia-Show, eine weiße Emaille-Schüssel mit Wasser, das blaue Licht für die Unterwasserwelt – sonst nichts. Zeichen statt Illustration, Zeichen, die im Spiel zu Bildern in den Köpfen der Zuschauer werden.
In dieser äußersten Reduktion aber feiert sich das Leben selbst– in Gestalt der Ente, quicklebendig, sprühend vor Lebenslust, quirlig und behende im Wasser wie auf dem Land, ganz naive, ja brachiale Daseinsfreude, zu der ganz selbstverständlich auch der Ärger über dieses penetrante Weckerklingeln am Morgen gehört.
Symbiotische Einheit von Puppenspieler und Puppe bei Heiki Ikkola. Man fragt sich, wer hier wen animiert: der Spieler die Puppe oder die Puppe den Spieler? Er ist das Double seiner Puppe - sein Gesicht wird zum Medium für die Seelenregungen der Ente: die Lust am Watscheln und Flattern, das blanke Entsetzen, die Verwirrungen, Verwunderungen, die überschäumende Freude, die Irritationen spiegeln sich in den 100 kleinen Falten seines Gesichts, in den Augen. Oder sein Fuß, platschend in der Emailleschüssel, i s t der Fuß der Ente. Oder seine linke Hand, die mit dem Flügel der Ente zur physiognomischen Einheit verschmilzt. Doch zugleich ist Heiki Ikkola Spieler, der mit der Rechten die Handpuppe führt, ihren Kopf dreht und wendet und biegt, ins ‚Wasser’ taucht, und mitunter für Sekunden in Distanz zu seinem Geschöpf geht, es verdutzt oder fragend anschaut wie auf ein Kind, über das man sich wundert oder um das man bangt.
Durch diese Symbiose ‚glauben’ wir ihm uneingeschränkt den Ärger der Ente über den Terror des Weckers oder das wohlige Gefühl beim Abtrocknen der Flügel mit dem Handtuch. Wecker und Handtuch, Diashow und plärrendes Singen – Attribute des Menschen – sie machen die Ente zur allegorischen Figur und damit zum tatsächlichen Partner der Gegenfigur – des Todes.
Die Ente des Heiki Ikkola und die Figur des Todes der Martina Couturier – stärkere Kontrastfiguren lassen sich kaum denken. Die Ente – personifizierte Lebensfreude, immer in Bewegung, ja in der Bewegung scheint sich der Sinn ihres Daseins zu erfüllen. Dagegen dieser Tod – zunächst als Puppe, dann in menschlicher Gestalt wie ein Schatten, lautlos auf der Bühne. Der Puppe gesellt sich der Mensch, die Schauspielerin zu. Die Grenzen zwischen Puppen- und Schauspieltheater werden fließend. Das Äußere dieser Figur – rätselhaft, androgyn, im statuarischen Gewand dem Erlbruchschen Entwurf folgend, im Gesicht stoische Gelassenheit und Freundlichkeit zugleich. Nichts Furchterregendes, vielmehr eine rätselhafte, aber kaum beunruhigende Undurchschaubarkeit. Die Bewegungen – aufs äußerste reduziert, begleitet vom Knirschen und Knacken der Gelenke, das ist nicht gruselig, sondern einfach nur komisch!
Und dann der erste Kontakt zwischen beiden, von Angesicht zu Angesicht, Fassungslosigkeit bei der einen, freundliche Selbstverständlichkeit bei der anderen. Nun folgen – hinreißend – die vielen Details im Spiel der beiden; bewundernswert in ihrer handwerklichen Präzision und ihrem Humor. Sie tragen die großen Momente in der Begegnung der beiden Protagonisten – das Erkennen, das Gründeln, der Ausflug auf den Baum, die Lebens-Rückschau, das Steinewerfen in die scheppernde Emaille-Schüssel, nein, natürlich in den Teich!
In diesem Spannungsbogen vollzieht sich etwas Einmaliges, Phantastisches, das sich auf der Bühne als Realität behauptet, nämlich: Bewegung, Grundprinzip alles Lebendigen, steckt an. Der Tod wird beweglich. Ins Gesicht kommt Ausdruck, also Lächeln, Verwunderung, vor allem Neugier, aber auch Ratlosigkeit. Die Lippen zittern vor Kälte, freudiges Aufleuchten der Augen, wenn die Ente ihn wärmen will – den kalten Tod! Auch die Glieder verlieren ein wenig von ihrer Starre. Der Tod trainiert Beweglichkeit, findet Freude am Spiel, am gänzlich nutzlosen Tun, das nur der Freude gilt. Das Miteinander wächst, wird enger, der Tod entdeckt die Freude des Lebendigen und am Lebendigen, hat seine staunende Freude daran, ja er scheint zu vergessen, was seines Amtes ist.
Oder ihres Amtes? Bis zum Schluss könnte er Tod und Tödin sein.
Eine wunderbare Erfindung des Iszenierungsteams: Die Urlaubsbilder – Dia-Show, in der die Ente ihr Leben vorbeiziehen lässt, stets in Begleitung des Todes. Beide sind symbiotisch miteinander verbunden. Der Tod – auf allen Fotos zu sehen, also ganz und gar selbstverständlicher Teil des Lebens, ihm zugehörig wie die Luft, das Atmen, keine Sekunde des Lebens ohne Anwesenheit des Todes, der seinen Schrecken so gänzlich verloren hat.
All diese Wirrungen und Wandlungen sind mitunter urkomisch. Die Inszenierung hat eine faszinierende Leichtigkeit, ohne zu bagatellisieren oder sich ans Amüsante zu verraten. Das Ende – der Tod der Ente – ist zwar vom ersten Augenblick an präsent, aber man vergisst es – und weiß es doch.
So, wie der Tod mehr und mehr vom Lebendigen angesteckt wird und Lebendigkeit gewinnt, so nimmt die Lebenskraft der Ente ab. Am Ende ist sie nur noch müde. Was für ein wunderbarer, magischer Moment, wenn die Hände des Todes zögernd nach der Ente tasten, unendlich vorsichtig, unendlich langsam, unendlich zärtlich, wenn er die Puppe vom Arm des Spielers abstreift, und wie ein Kind in seinen/ihren Armen bettet. Da ist es still, ganz still. Vorsichtig gibt der Tod die Puppe zurück an den Spieler, der sie aufs Wasser legt, und mit der Tulpe auf dem toten Körper schwimmt die Ente lautlos davon, begleitet vom Rauschen der Ewigkeit.
Die Tulpe – mit ihr hat die Inszenierung begonnen. Immer wieder taucht sie für winzigen Moment im Spiel auf, scheinbar absichtslos, eine kaum merkliche Irritation. Die Tulpe – eine Reminiszenz an den Volksglauben, der die Tulpe und den Duft von Blumen in Verbindung mit dem Tod bringt? – Todesbote also?
Was wäre all dies ohne die virtuose Musikerin Maria Elsa Drelon! Sie ist nicht Begleiterin, sondern Spielpartnerin. Sie ist ja auch Ansprechpartnerin der Ente, und: ihre Musik erzählt die Geschichte mit. Ein Großteil der Heiterkeit, des Humors verdankt die Inszenierung den Geräuschen und Melodien, die sie den Instrumenten entlockt. Was kann man da für krude Töne hören, wie viel ungezähmte Lust steckt in den einfachen, wiederkehrenden Melodien! Es sind eben nicht nur die Spieler, die die Figuren verlebendigen, die Musik ist es in gleichem Maße auch. Ein so wunderbares, sich gegenseitig inspirierendes Miteinander Musik und Spiel – das ist Totalgenuss für Augen und Ohren. Und wenn dann am Ende eben nicht – wie im Melodram oder im Film – die Geigen und Celli schluchzen, sondern nur einfach die Stille im Raum steht, dann stockt das Herz.
Dies alles – Spiel und Musik – erfüllt sich im sparsam funktionalen Bühnenraum und dessen Lichtregie von Klaus Dust und mit den Puppen von Sabine Köhler und der Kostümgestaltung von Gaby Keuneke. Ein gelungenes Beispiel dafür, wie Funktionalität vom Ästhetischen beseelt werden kann, ja wie Funktionalität in den Aggregatzustand des Ästhetischen wechselt.
Eine wunderbare Inszenierung, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen tief bewegend und berührend. Komisch und ernst, laut und leise, zart und burschikos, licht und dunkel – einfach hinreißend!
Einen herzlichen Glückwunsch der Jury für diese Entscheidung, einen herzlichen Glückwunsch dem Inszenierungsteam!